Wenn Märchen wahr werden

Frau Holle, die liebevolle und wertschätzende Begleiterin
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Ich habe mir heute Vormittag Zeit genommen, ein Märchen zu lesen. Ich habe eine Autorin entdeckt, die die Grimm-Märchen wieder in ihre ursprünglichere Form gebracht hat. Ihrer Forschung nach waren Märchen ursprünglich Initiations-Geschichten und somit nicht an Kinder, sondern an Jugendliche im Erwachsen-Werden gerichtet. So erzählen die Märchen von dem Weg, den die jungen Frauen und Männer auf dem Weg zu ihrem erwachsenen Ich zu gehen haben.

Nun lese ich da das Märchen vom krummen Lutz, der durch eine Krankheit in seiner Kindheit ein krankes Bein und ein krummes Rückgrat hat. Er wird daher von seinem Bruder verstossen, nachdem ihr Vater - der König - verstorben ist. So muss der krumme Lutz im Stall bei denTieren wohnen, während sein Bruder in Saus und Braus lebt. Er denkt, viel habe er ja nicht mehr zu verlieren und beschliesst daher, sich auf den Weg in den Wald zumachen. Im Wald trifft er Frau Holle, die ihn für 3 Jahre bei sich aufnimmt und als Gegenzug seine Mitarbeit auf Feld und Hof bekommt. So arbeitet der krumme Lutz fleissig auf dem Hof mit und erledigt die anfallenden Aufgaben sehr gewissenhaft. Im Märchen heisst es dazu: "Mit jedem Schweisstropfen schwand ein Stücklein der Kindheit aus der Erinnerung und der Lutz wuchs aufrecht wie ein Baum. Und mit jedem Schweisstropfen rann auch ein Stücklein der Krankheit aus seinem Blut und das krumme Bein begann sich zu strecken und wurde gesund." Und Frau Holle war während des gesamtenProzesses "einfach" DA und begleitete ihn. Sie vertraute darauf, dass er den Aufgaben gewachsen ist und entlohnte Lutz entsprechend für seine Arbeit. Zum Schluss sorgte Frau Holle für Gerechtigkeit. Der nun aufrechte Lutz bekommt seinen Anteil des Erbes vonseinem Bruder und beginnt, sein eigenes Leben zu leben.

Das Märchen berührt mich sehr. Ich erkenne darin meinen eigenen Weg und Prozess von der krummen-kindlichen Samuela zur aufrechten, erwachsenen Frau. Ich empfinde ihn als befreiend, aber auch als anstrengend, schweisstreibend und tränenreich. Die Symbolik und die Worte des Märchens haben eine tröstende Wirkung auf mich. Die Fähigkeit zur Heilung ist in uns selbst angelegt, das ist eine weitere Botschaft des Märchens. Wir brauchen niemanden von aussen, der sie für uns bewirkt. Den Weg können nur wir selbst gehen, mit allem Freudvollen, aber auch mit allen Unannehmlichkeiten, die er mit sich bringt. Es ist aber möglich – und manchmal auch sinnvoll – sich auf dem Weg begleiten zu lassen. Eine wohlwollende, liebevolle zuweilen aber auch hartnäckige Frau Holle an seiner Seite zu wissen, wirkt unterstützend. Dabei finden wir Frau Holle nicht nur in einem persönlichen Gegenüber, wie einer guten Freundin, der Schwester, der Mutter oder einer Coach oder Therapeutin. Tief in uns selbst sind wir unsere eigene Frau Holle. Wenn ich mich im Alltag ertappe, dass ich gemeine, klein-machende Gedanken über mich selbst denke, erinnere ich mich an die liebevolle und wohlwollende Frau Holle, die in mir wohnt. Und beim nächsten Blick in den Spiegel sehe ich mich durch ihre Augen und bringe damit mein inneres Strahlen wieder zurück auf mein (oftmals verweintes) Gesicht.

Ich wünsche Dir von Herzen, dass auch du deine innere Frau Holle entdeckst und dich von Tag zu Tag öfters durch ihre liebevollen Augen betrachten kannst!

Quellennachweis des Märchens: Der krummeLutz bei Frau Holle im Wald, in: Seghezzi, Ursula: Im Land der Seele. Märchen, Triesen 2019.

Blogbeitrag aus dem Jahr 2021

Passend

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