Liebes Kind

Heute ist es ein Jahr her, dass du aus meinem Bauch kamst. Ungläubig erkenne ich jeden Tag und vor allem jede Nacht erneut, wie sehr sich mein Leben seither verändert hat. Deine Mama zu sein ist die schönste und bereicherndste, aber gleichzeitig auch die langweiligste und dabei anstrengendste Aufgabe, die ich bisher hatte. 

Lange Zeit haderte ich damit, dass du per Kaiserschnitt in diese Welt kamst. Ich fühlte mich unzulänglich, nicht als ganze Frau, dich nicht aus eigener Kraft geboren und dieser Welt geschenkt zu haben. Ich habe dabei völlig ausser Acht gelassen, dass es in erster Linie DEINE Geburt war und ich dabei zweitrangig, als Mittlerin fungierend, damit du in diese Welt kommen konntest. Überhaupt fällt es mir schwer, dass ich so oft erst an zweiter oder dritter Stelle komme. Ich dachte erst, es sei vor allem der Schlaf, der mir fehlt und die Müdigkeit, die mich das Mama-Leben als anstrengend empfinden lässt. Wenn ich tief in mich hineinhorche und ganz ehrlich bin, stimmt das aber nicht. Es ist der Fakt, dass es so oft darum geht, was DU möchtest und brauchst und so wenig darum, was ICH gerade bräuchte. Es ist mein eigenes inneres Kind, dass mich dann unwirsch und wütend werden lässt. Und als reichte das alleine nicht aus, fühle ich mich bald darauf schuldig, es nicht „besser“ gemacht zu haben, nicht liebevoller mit dir gewesen zu sein. Du bist doch noch so klein und kannst es nicht besser! Und in diesen dunklen Momenten wünsche ich mir jemanden, der MICH in den Arm nimmt zu mir sagt: „Es ist alles gut, so wie es ist. Du bist genug.“

Und dann erinnere ich mich an die lichtvollen und freudigen Momente mit dir:

- Der Moment, in dem ich deinen ersten Schrei hörte. Er war laut und kraftvoll und machte mich zur glücklichsten Mutter dieser Welt. 

- Der erste Kuss, den ich dir auf dein noch verschmiertes Köpfchen gegeben habe, ich werde ihn nie vergessen. Es war der süsseste Kuss meines Lebens.

- Dein zufriedenes Gesicht, nach dem du an meiner Brust getrunken hast.

- Dein erstes Lachen - es ging tief bis in mein Herz hinein. Und jedes weitere tut es genau so und füllt es mit neuer Kraft und Energie.

- Das erste Mal den Kopf selber heben, vom Rücken auf den Bauch drehen, dein Krabbeln, deine ersten Schritte alleine - es erfüllt mich mit stolz, wie du die Welt entdecken willst und immer mobiler wirst.

- Dein leises Schnarchen und deine tiefen Atemzüge wenn du schläfst. Das wohliges Gefühl, das sich dann in meinem Bauch ausbreitet, lässt mich tiefste Zufriedenheit spüren.

- Der Stolz in deinen Augen, wenn du Azzurros Leine auf dem Spaziergang halten darfst.

- Die Wärme am Rücken, wenn ich dich durch die Welt trage und du sie von dort aus entdecken kannst.

- Der Schalk in deinen Augen, wenn dir eine neue Idee in den Sinn gekommen ist und du sie erfolgreich umgesetzt hast.

- Dein Kichern, wenn du mit anderen Kindern spielst und ganz die Zeit geniesst.

- Dein vehementes Weinen und für dich Eintreten, wenn du etwas willst - es lässt mich deine innere Stärke erkennen, eine wunderbare Kraft.

Dann nehme ich DICH in den Arm und flüstere in dein Ohr: „Alles gute zum Geburtstag, schön, dass du da bist! DU bist genug, genau so wie du bist. Ich danke dir für unsere gemeinsame Zeit und freue mich auf alle Momente, die noch kommen. Ich liebe dich.“

Deine Mama

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Geburtstagsbrief an meine Tochter an ihrem ersten Geburtstag am 08.04.2022